Vertrauensarbeitszeit – eine Moderne Form der Sklaverei?

Ich weiß, ich starte mit einer sehr provokativen Frage. Aber mal ehrlich. Viele haben schon davon gehört und vielleicht haben sich gerade die, die auch direkt betroffen sind, diese Frage schonmal gestellt. Gerade in kleineren Betrieben und in der Dienstleistung hört man häufig von langen Arbeitstagen.

Sozialer Druck und Entziehung der Sorgfaltspflicht

Kollegen schauen verwundert, wenn man nach 10 Stunden „schon“ nachhause geht. Ausgezahlt bekommt man die meisten Stunden nicht. In der Argumentation mit dem Arbeitgeber hört man doch häufig leere Floskeln, die die Verantwortung vom Management auf den Mitarbeiter schieben:

    • Man habe es schließlich selber zu verantworten.
    • Warum habe man nicht früher etwas gesagt?
    • Wenn es die Auftragslage zulässt, dann nehmen Sie einen Tag frei.
    • Um wie viele Stunden handelt es sich denn überhaupt?
    • Die meisten Stunden davon haben Sie sicherlich Kaffee getrunken.

Im Gegensatz dazu, wird gerade bei tarifvertraglichen Angestellten die Zeit über ein System praktisch automatisch erfasst. Die Arbeitslast ist auch in solchen, geregelten Unternehmen oft sehr hoch. Der Vorteil für den Mitarbeiter, er bekommt seine Arbeitszeit 1:1 abgegolten. Klingt ja fair.

In Anbetracht der Realität sind viele Arbeitgeber leider nicht so fortschrittlich. Aus meiner Sicht aus den falschen Gründen.

Hat der Staat kein Interesse an einer generellen Zeiterfassung?

Der Staat ist das Organ für Recht und Ordnung. Wenn die Arbeitszeit einer Volkswirtschaft nicht erfasst wird, wird auch die wirtschaftliche Leistung verwässert. Apropos Recht und Ordnung. Auf welcher Grundlage soll ein Arbeitnehmer eigentlich beweisen, wenn das Arbeitszeitgesetz gehalten oder gebrochen wird. Es existieren zwar grundsätzliche Empfehlungen aber keine, die Unternehmen in die Pflicht nimmt. Genau aus diesem Grund existiert die so positiv klingende „Vertrauensarbeitszeit“. Hat der Staat kein Interesse einer Sklavengesellschaft gegenzusteuern?

Mir ist natürlich bewusst, dass viele andere Themen auch wichtig sind aber so richtig scheint es niemanden zu stören. Dabei entgehen dem Staat aufgrund der nicht anfallenden Steuereinnahmen für auszubezahlende Arbeitsleistungen.

Meiner Meinung versagt unser Staat hier auf ganzer Länge. Er scheint nicht in der Lage zu sein, ein faires Gesetz zu erlassen, welches auf die Interessen der Arbeitnehmer einzahlt. Was mich aber noch viel mehr wundert ist die Tatsache, dass es viele einfach hinnehmen und nicht hinterfragen.

„…“

Was bringt die Arbeitszeiterfassung für den Arbeitnehmer?

Aus meiner Sicht eine ganze Menge. Allem voran einmal Gerechtigkeit. Zudem auch die Gewissheit, dass der Arbeitgeber ein Interesse hat den Arbeitsvertrag einzuhalten. Mit einer Arbeitszeiterfassung steigt auch die Beweisfähigkeit auf ein Maximum. Es wird genaustens erfasst wann eine Person kommt und wann diese geht, wann sie Pause macht und wann sie gefehlt hat.

Vertrauensarbeitszeit bedeutet in den meisten Fällen, dass Vorgesetzte sich ihrer Verantwortung zur Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes entziehen möchten. Dabei sind Vorgesetzte unter Umständen sogar privat haftbar. Ich frage mich nur, wie soll das bewiesen werden ohne Beweise.

Im Alltag hat man als Arbeitnehmer häufig das Nachsehen. Natürlich ist es möglich die Verantwortung auf den Arbeitnehmer abzuschieben. Die sind aber oft mit Arbeit zugeschüttet und habe nicht die Flexibilität selber zu entscheiden, wann Arbeit verschoben werden kann und wann nicht. Meiner Meinung nach beißt sich die Katze an der Stelle in den Schwanz.

Die Diskussionen gehen ja auch erst dann los, wenn der Mitarbeiter seine Überstunden einfordert. Die Reaktion: Wie? Sie haben 120 Überstunden? Hier müssen wir jetzt nach einem Weg finden, wie wir damit umgehen. Denn 3 Wochen Urlaub kommen für die meisten Arbeitgeber nicht in Frage. Wo an dieser Stelle die gerechte Entlohnung ist, kann ich nicht sehen. Als Arbeitnehmer ist man immer im Nachteil und egal wie gut ein Argument, wenn sich der Arbeitgeber nicht darauf einlässt, ist es eh egal.

An der Stelle heißt es denn Augen zu und durch, einen anderen Arbeitgeber finden oder mit einer Klage an der Tür klopfen. Da viele Menschen Konflikte tendenziell vermeiden möchten, machen sie die Augen zu und schlucken die bittere Pille.

Arbeitgeber profitieren von Vertrauensarbeitszeit

Arbeitgeber geben meiner Meinung nach ihre Verantwortung zur Einhaltung des Arbeitszeitgesetztes ab indem sie die Vertrauensarbeitszeit beibehalten. Als Gesellschafter ist glücklicherweise bevorteilend, da Menschen eher dazu neigen ihre Arbeit gut zu machen. Das ist schon psychologisch begründet. Die wenigsten haben den Rückhalt, um permanent kontra zu geben und auf Überstunden und einen Ausgleich hinweisen. Für den Gesellschafter füllen sich die Taschen, da er bspw. für 40 Stunden bezahlt und vielleicht 43 Stunden bekommt. Aufs Jahr gerechnet ist das fast ein voller Monat. Der Mitarbeiter arbeitet also seinen Urlaub wieder rein. Diese Stunden werden dankend, wertschätzend und anerkennend angekommen. Geht es dann aber um die Gehaltserhöhung von 5% (was übrigens 3 Überstunden pro Woche kompensiert) ist der Spaß schnell vorbei.

Welchen Anreiz hat ein Arbeitgeber eine Arbeitszeiterfassung einzuführen? Eigentlich gibt es da nur ethisch und moralische Gründe. Fakt ist, es entstehen überwiegend Nachteile.

Zum einen muss die Buchhaltung für alle Überstunden Rückstellungen bilden. Häufen sich viele Stunden an, müssen auch erhebliche Beträge rückgestellt werden. Diese schmälern zwar den zu versteuernden Gewinn, müssen aber irgendwann aufgelöst werden. Folglich müssen die Überstunden bezahlt oder ausgeglichen werden. Das führt dazu, dass es einen variablen Bestandteil in der Payroll gibt und als Unternehmer möchte man die Personalkosten möglichst stark fixieren. Das steigert die Planbarkeit. Was sagen eigentlich die Gesellschafter wenn die Personaleffizienz plötzlich 43 Wochenstunden anstatt 40 beträgt. Mehr als 7% Reibungsverlust müssen da erst einmal verkraftet werden. Aus Management-Sicht gesehen gibt diese Zeiterfassung ein realeres Bild der Produktivität ab.

An der Stelle bin ich mir etwas unsicher, ob es ein Vorteil oder ein Nachteil ist, wenn das Management gezwungen ist wirtschaftlicher zu denken. Mehrarbeit ist also keine unendliche Ressource, sondern muss durch gutes Management vermieden werden. Das ist eine Chance zur Weiterentwicklung aber auch eine Gefahr für das Management.

Digitalisierung voran – warum dann nicht auch für die Arbeitszeiterfassung?

Gerade in der Zeit der Digitalisierung ist es ein leichtes ein Zeiterfassungssystem einzuführen. Diese Systeme sind in Anbetracht von anderen gewöhnlichen und notwendigen Anschaffungen überschaubar. Kleinere Unternehmen sehen sich hier sicherlich wieder benachteilt. Aber auch für Kleinunternehmen gibt es bereits preisgünstige Lösungen. Das Argument, dass einige Branchen nicht mit Überstunden auskommen, ist durch eine Arbeitszeiterfassung auch nicht gefährdet. Die angefallenen Überstunden werden lediglich erfasst und fair ausgeglichen. Das erfordert natürlich auch ein Umdenken des Managements – man muss nach Anknüpfungspunkten suchen, um die Produktivität zu steigern.

Letztlich kann man auch das wieder gut mit dem Controlling oder der Buchhaltung vergleichen, wo man sich gerade intern auf bestimmte Bewertungsmechanismen einlassen muss. Denn unterschiedliche Bewertungsstandards bringen verschiedene Ergebnisse zu tage.