Warum Kennzahlen im digitalen Marketing häufig variieren

Was verbinden Sie mit Controlling? Wann immer ich an Controlling denke, assoziiere ich die Disziplin der messerscharfen Messbarkeit von Unternehmenskennzahlen damit. Ein Geschäftsführer verlässt sich auf die internen und externen Kennzahlen. So ist ihm natürlich bekannt, dass 100.000 Einheiten zum Preis von 5 EUR nach Frankreich verkauft wurden. Ich möchte meinen, dass an dieser Stelle auch die messerscharfe Messbarkeit endet.

Controlling besitzt Standards, die nicht in Frage gestellt werden

Ganz anders steht es hingegen mit den Personalaufwendungen der aus Deutschland nach Frankreich entsendeten Mitarbeiter. Abhängig von der Aufenthaltsdauer und vielen weiteren Faktoren entsteht hier nach dem Doppelbesteuerungsabkommen ein bestimmter Personalaufwand. Dieser ist von vorneherein nur sehr schwierig zu ermitteln. Kommen dann noch unterschiedliche Währungen oder Bewertungsstandards hinzu, wird es komplett undurchsichtig. Die sooft als Königsdisziplinen gehandelte Buchhaltung und das Controlling bekommen dann weiche Knie – oder doch nicht? Unter all den internen und externen Vorschriften verliert man schnell den Überblick. Als Unternehmen folgt man einem Standard, verwertet die Daten und bereitet diese entsprechend der Stakeholder-Bedürfnisse auf. Das Ergebnis wird hinterfragt aber nicht in Frage gestellt.

Digital Marketing Controlling – eine neue Disziplin?

Anders ist das im Marketing-Controlling und dort insbesondere im digitalen Bereich. Verbreitete Industriestandards zur Datenverarbeitung, zum Aufbau und zur Strukturieren von Kennzahlensystemen sind eher lückenhaft. Unternehmen greifen auch nicht nur auf einen einzelnen Datentopf zurück, sondern auf eine gesamte Infrastruktur aus Software und Datenverbindungen. Regelmäßige Neuerungen, Updates und der Eingriff des Staates in die Datenverarbeitung erschweren den Erhalt einer konsistenten Datenqualität. Es hat den Anschein, als würde etwas das im aktuellen Moment funktioniert, bereits im nächsten Monat geändert werden. Zudem ist nicht nur die Datenverarbeitung auf der unternehmenseigenen Infrastruktur ein relevanter Faktor, sondern auch die Verarbeitung der Daten innerhalb einzelner Systeme. Diese Prozesse sind häufig eine Black-Box. Der Entwickler hat natürlich die Möglichkeit über eine API Schnittstelle auf Daten zuzugreifen aber man kann nie sicher sein, ob diese Daten auch denen im Front-End einer Software entsprechen. Das ist selten der Fall. Deswegen erlebe ich es allzu oft, dass das Ergebnis in Frage gestellt wird.

„Es hat den Anschein, als würde etwas das im aktuellen Moment funktioniert, bereits im nächsten Monat geändert werden.“

Wie können wir dem digitalen Marketing Controlling vertrauen?

Kann man sich dann also überhaupt auf Marketing Daten verlassen? Die Antwort ist eindeutig JA. Sind Marketing Daten überhaupt zu 100% korrekt? Hierzu kann ich nur sagen, dass sie auf ihre Weise den Trend korrekt abbilden. Was unter korrekt zu verstehen ist, muss natürlich im Einzelfall geklärt werden. Je eher man einen sinnvollen Prozess zur Datenverarbeitung und Datenbereinigung definiert, desto stärker nähert sich der Trend der 100%igen Realität. Es darf aber niemals der Eindruck entstehen, dass ein Marketing-Reporting die Realität abbilden kann.

Worum geht es eigentlich? Aufgrund der zahlreichen Einflussfaktoren, die unser Bild auf die digitale Umwelt verschwimmen lassen, dürfen wir nicht zum akribischen Erbsenzähler mutieren. Ob nun die Traffic-Zahlen im Januar 893.435 oder 843.234 Sessions waren ist relativ unerheblich – auch wenn die absolute Differenz bei über 50.000 Sessions liegt. Viel wichtiger ist die Information, dass zum Beispiel der Traffic auf unserer Website aufgrund unserer Maßnahmen um 25% zum Vormonat gestiegen ist. Und genau darum benötigen wir ein Marketing Controlling. Es unterstützt dabei die Ursache und Wirkungszusammenhänge zu erkennen und die Steuerung des Marketings langfristig zu verbessern.

Woher kommen unscharfe Daten im Marketing Controlling?

Nachdem wir verstanden haben, dass es um eine Optimierung der Steuerung und das sich Streueffekte nicht vermeiden lassen, bleibt dennoch eine Frage offen – woher kommt die Differenz von über 50.000 Sessions? Eine genaue Antwort kann nicht gegeben werden. An folgenden Stellen entstehen aber Reibungsverluste:

    • API Limits von Schnittstelle zu Schnittstelle, sodass nicht alle Datensätze übergeben werden können. Gerade im Big Data Bereich, sind die Datenmengen zu groß, als dass man den Transfer über eine API sinnvoll verwalten kann.
    • Das Quellsystem arbeitet mit Sampling-Daten, also einer Strichprobe. Die API übergibt dann auch nur gesampelte Daten. Die Daten repräsentieren dabei die Grundgesamtheit.
    • Die Datenverarbeitung im Quellsystem bleibt unbekannt. Es wird vom Hersteller oft wie ein Geheimnis gehütet. Häufig werden ungültige Datensätze oder Test-Profile im Front-End herausgefiltert und über die Schnittstelle mit übertragen. Die Systematik der Datenbereinigung kann meist nicht 1:1 aus dem Quellsystem übernommen werden.
    • Die Schnittstelle stellt oft keine Rohdaten, sondern bereits aufbereitete Daten zur Verfügung. Die Aufbereitung spiegelt nicht immer das wieder, was man sich zur Analyse wünscht. 
    • Besucherdaten, die durch Tracking-Tools erfasst werden, können vom Besucher durch Tracking-Blocker, abgelehnte Cookies oder andere Ghosting-Software verschleiert werden.
    • Die Datenerfassung über verschiedene Zeitzonen und durch verschiedene Server-Timestamps erschweren eine tagesgenau Zuordnung. 

Wie reduzieren wir unsere Verwirrung?

Ein wichtiger Tipp, es muss ein System definiert werden, welches als maßgebendes Steuerungselement für das Marketing-Controlling einzusetzen ist. Zudem muss ein einheitlicher Prozess bzgl. Datenaufbereitung und Datenzuordnung definiert werden. Macht man das nicht, werden immer wieder Diskussionen über die Abweichungen zwischen Kennzahlen entbrennen: „Warum weist Google Analytics 893.435 und das Marketing-Controlling nur 843.234 Sessions aus?“.

Letztlich kann man auch das wieder gut mit dem Controlling oder der Buchhaltung vergleichen, wo man sich gerade intern auf bestimmte Bewertungsmechanismen einlassen muss. Denn unterschiedliche Bewertungsstandards bringen verschiedene Ergebnisse zu tage.